Gespräche zwischen Jung und Alt

von Janine Lesch

Es ist Weihnachten. Eigentlich ein Fest der Freude und der Besinnlichkeit, so dachte die kleine Sophie, als sie am Vorweihnachtsabend vor dem Kamin des Altersheim saß und den alten Menschen beim Stricken zusah. Sie beobachtete die alten Menschen, die entweder schwiegen oder ein paar Worte miteinander austauschten. Die Kleine hatte seit längerer Zeit ein komisches Gefühl in ihrem Bauch, weil sie spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, jedoch wusste sie nicht was. In Gedanken sprach sie eine alte Dame an, mit der Sophie bisher kaum gesprochen hatte, da sie neu im Altersheim war. Das Altersheim wurde von ihren Eltern geführt und die Kleine verbrachte gerne Zeit mit den Menschen, weil sie so gerne ihr Lächeln und ihre Geschichten liebte.

Die alte Dame, genannt Rosi, sprach zu ihr: “Kleine, du bist zu jung, um so voller Gedanken und Sorgen zu sein. Was fehlt dir?”

Eine Konversation begann, dessen Beobachter ich werden durfte:“Weißt du, Rosi, es ist Weihnachten. Das Fest der Liebe und der Freude. Und ich fühle mich sehr leer und einsam, wenn ich sehe, dass eure Familien nicht an Weihnachten da sind und ihr irgendwie alleine seid. Das macht mich traurig. Warum seid ihr alleine hier?Rosi:” Meine Kleine. Es ehrt dich sehr, dass du mit uns denkst und dass du so voller Mitgefühl bist. Ich verstehe dich gut, denn: ich habe mir mein Weihnachten und all das hier auch anders vorgestellt. Ich hatte gehofft, dass ich bei meinen Kindern Weihnachten verbringen kann, jedoch sind sie weg dieses Jahr.”

Sophie: “Und warum nehmen sie dich nicht mit?”

Rosi: “Weil dies sehr aufwendig wäre. Ich benötige ein stabiles Bett, die Räumlichkeiten müssen für meinen Rollstuhl angemessen sein und die Toilettengänge möchte ich ungern Menschen an tun. Ich schaffe das kaum noch alleine.”

Sophie:” Aber du könntest mich doch mitnehmen und dann helfe ich dir?”

Rosi:” Möchtest du Weihnachten nicht mit deiner Familie feiern?”

Sophie:” Doch, das möchte ich sehr gerne.”

Rosi: “Eben. Und mal abgesehen davon, auch wenn ich nicht viel wiege, so ist so ein Körper doch schon ziemlich schwer.” Sie lächelte dabei.

Die Kleine begann ebenfalls ein bisschen zu Grinsen, bevor Rosi weitersprach:” Mein kleines Kind, ich sehe in Dir ein sehr großes Herz und eine Liebe, die überall zu spüren ist. Ich verrate dir ein kleines Geheimnis, in Ordnung?”Das kleine Mädchen setzte sich auf, lächelte und schien voller Neugier, denn sie wollte viel lernen.“Also, Sophie, ich erzähle dir ein kleines Geheimnis. Ich habe im Leben gelernt, dass es immer zwei Sichtweisen auf alles gibt. Und dies ist ganz wichtig, denn: nur mithilfe beider Seiten können wir auswählen, welche Sichtweise wir einnehmen möchten, verstehst du?”

Das Mädchen schaute skeptisch. Rosi fuhr fort:“Schau mal, Morgen ist Weihnachten und ja, meine Familie ist nicht da. Sie kommt erst nach Weihnachten zurück und sie wird Weihnachten woanders verbringen, dort, wo es für mich schwer möglich ist. Ja, ich fühle hierüber eine Traurigkeit, weil ich am Liebsten bei Ihnen sein wollte und manchmal bin ich auch ein bisschen böse, dass sie den Aufwand für mich nicht betreiben wollen. Je mehr ich hierüber nachdenke, desto trauriger werde ich und ich fühle mich dabei nicht gut. Es gibt jedoch auch eine andere Seite.”Die Kleine blinzelte mit den Augen, öffnete sie weit und war voller Vorfreude, die andere Seite zu hören. Rosi sagte:“Schau her. Ich sitze hier, am 23.12.19 bei Dir, einem kleinen Mädchen, das sich die ZEit nimmt, mir zuzuhören. Einen Mädchen, dass bereit ist, die Geschichten einer alten Dame zu hören, ohne, dass ich etwas dafür tun muss. Du bist einfach da und lauscht meinen Worten. Ich bin hier in dem schönsten Altersheim untergebracht, habe tolle Pflege und auch die Leute hier sind gar nicht mal so schlecht. Die Eine kann gut stricken, die Andere singt noch gerne und mit ein paar Anderen kann ich mich gut über das Essen austauschen und mit dem ein oder Anderen macht auch das Lachen so richtig Spaß. Ich werde umsorgt und verbringe Weihnachten nicht nur im Rahmen meiner Familie, wo wir zu 6. wären, sondern ich erlebe Weihnachten mit ganz vielen Menschen, die ein gleiches Schicksal teilen und sehr dankbar dafür sind, dass wir alle gemeinsam hier sein dürfen. Im Warmen, im Schönen. Dass wir das Geld haben, uns dieses Altenheim leisten zu können, dass es Menschen gibt, die für uns da sind, die uns zuhören, vorlesen und mit uns spielen und singen. Menschen, die uns, trotz unseres Alters, noch nicht aufgegeben haben und uns ganz ernst nehmen. Und, eine ganz besondere Freude möchte ich nochmal betonen: Weißt du mein Kind, ich habe keine Enkelin. Ich hätte mir diese so sehr gewünscht, aber noch ist es nicht so weit. Und jetzt sitze ich hier, wir haben kaum bisher Kontakt gehabt, und wir sprechen so, wie ich es mir gewünscht hätte, mit meiner Enkelin zu sprechen und ihr Weisheiten zu erzählen, die so wichtig sind, um im Leben zurecht zu kommen. Und genau dies ist das schönste Geschenk, was ich mir wünschen könnte. Und wenn ich diese Sichtweise einnehme, weißt du wie ich mich dann fühle?”Die kleine Sophie stellte sich auf ihre 7-jährigen Beine, stellte ihre Arme in die Seiten und schaute sehr aufgeweckt drein und sprach:“Rosi, ich weiß, wie du dich fühlst. Du fühlst dich: dankbar, freudig und dein Herz geht auf und du freust dich über Weihnachten.”Rosi sagte:” und woher weißt du das so genau?”

Die Kleine sagte: “Na, fühl doch mal. Während du mir diese Geschichte erzählt hast und du mir dies sehr deutlich gemacht hast, hat sich mein Herz sehr geöffnet und ich sehe die ganze Situation viel besser und ich freue mich sogar, dass ihr hier bei uns seid. JEtzt habe ich auch kein schlechtes Gefühl mehr, dass ihr hier seid, sondern freue mich und ich werde dich morgen besuchen kommen, dass wir am 24. auch einmal gemeinsam lachen und singen. Und darauf freue ich mich so sehr.”Rosi hatte Tränen in den Augen und schaute das Mädchen gerührt an. Sie sagte:” Meine Kleine, und hiermit hast du dir das größte Geheimnis des Lebens selber verraten. Manchmal lehnen wir gewisse Gefühle ab und sind sauer, dass sie da sind und dann werden wir noch saurer, dass diese Gefühle in uns rumwühlen, kennst du das?”“Ohja, das kenne ich sehr gut.”“…genau. Und je öfter wir bereit sind, neue Sichtweisen einzunehmen und Dinge aus einem anderen Zusammenhang zu sehen, plötzlich verändern sich die Gefühle, oder?”“Ja genau, wie gerade.”“Genau mein Kind. Gefühle sind nichts Schlimmes, sondern sie helfen dabei, zu erkennen, welche Sichtweise wir jetzt gerade eingenommen haben und sie helfen uns dabei, festzustellen, welche Sichtweise die Nahrhafte ist. Gefühle sind sodann quasi wie…”Sophie: “Rosi, die Gefühle sind wie ein Kompass. Sie zeigen uns die Richtung an und helfen uns den richtigen Weg zu finden. So stelle ich mir dies gerade vor!!”“Genau so ist es. Deine Gefühle zeigen dir an, welche Gedanken die Richtigen sind und zeigen wie eine Kompassnadel darauf, welche Route zum Ziel führt.”“Das heißt doch auch, dass sogar die negativen Gefühle gut sind, oder?”

Rosi grinste und sagte abschließend: “ Ja mein Mädchen. Du bist viel Schlauer als manch ein Erwachsener und ich hoffe, dass dich jeder in diesem Alterheim, Dorf und jeder in der Welt hört, um diese Botschaft zu empfangen.”Beide lachten, nahmen sich in den Arm und gingen schlafen. Der nächste Tag wartete bereits voller Vorhaben: sie wollten gemeinsam singen und lachen und: ihre Botschaft in die Welt hineinbringen.Auch DIR wünsche ich nun frohe Weihnachten, eine besinnliche Zeit, den Kompass im Herzen und Achtsamkeit für Dich und Jeden Anderen.

In Liebe

Janine

Bildquelle


Janine Lesch

@janine


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